Bergamo: durchs schwarze Loch direkt in den eskimotischen Süden
Heute feiern die Streiflichter Premiere. Denn als Verehrerinnen unserer wunderschönen Schweiz ist es überfällig, per Eisenbahn durch das teuerste, schwärzeste und längste Loch Europas zu fahren. Ein wenig aufgeregt beschleunigt sich unser Puls beim Passieren von Flüelen, dann erhöht sich die Frequenz in Erstfeld noch ein bisschen mehr, bis uns der grosse Moment einholt. Unvermittelt sehen wir Schwarz. Das muss er sein, unser brandneuer Gotthard-Eisenbahntunnel! Einmal mehr staunen wir ob der Schweizer Bescheidenheit: keine Fanfaren, keine spezielle Zugansage, einfach gar nichts bei der Einfahrt ins dunkle Niemandsland unter dem Gotthardmassiv.
Das Tempo erhöht sich kontinuierlich – der Ohrendruck auch – und bevor wir unsere Diskussion über das Jahrhundertbauwerk beenden, spuckt uns das Loch in Airolo wieder aus. Plätsch. Gemäss Irene beginnt da die Magadino-Ebene. Und Karin glaubt vage zu wissen, dass diese Ebene doch weiter unten sein muss; lässt sich aber verunsichern, weil Irene grundsätzlich einfach alles weiss. Conny lässt Diplomatie walten und enthält sich der Diskussion. In Bellinzona herrscht dann grosse Einigkeit. Das geografische Thema wird abgehakt und wir kümmern uns um wichtigere Dinge wie das Umsteigen. Ein nicht ganz risikofreies Unterfangen, wenn man die Streiflichter kennt. Denn sie haben ja bekanntlich keine Beautycases mit dabei, sondern Hightech-Ware wie Carbon-Stative (Karin hat es nicht vergessen), Kameras (dieses Mal sind es vier; Conny musste zwei mitnehmen), Objektive vom Feinsten, 3 Rucksäcke, 1 Handtäschli und 3 Koffern. Anhand der Koffergrösse kann man übrigens auch die Personenzuteilung vornehmen nach dem Motto: «Zeige mir deine Koffer und ich sage dir, welches Streifliechtli du bist.»
Mit Sack und Pack nach Bergamo
Soweit so gut. Das Umsteigen verläuft ohne Zwischenfälle. Hopp, hopp, hopp, in den nächsten Zug hüpfen und weiter geht die Fahrt nach Milano. Hier bewundern wir die schöne Architektur der Bahnhofhalle. Ein paar Pics werden geschossen, bis wir dann in den klapprigen Regionalzug wechseln. Dieser ist unterkühlt wie ein eskimotischer Gefrierschrank. Anstatt endlich unsere atemberaubend sommerlichen T-Shirts zu präsentieren, verkriechen wir uns in unseren warmen Jacken. Dann erreichen wir nach einer gemütlichen Zugfahrt unser Reiseziel BERGAMO. Der bergamaskische Himmel ist schwarz wie die Augen eines feurigen Italieners, die Temperatur alles andere als warm. Nun, so haben wir uns das natürlich nicht vorgestellt. Pfui. Also muss eine Pizza her. Oder doch nur ein Salötli? Im Ristorante richten wir uns gemütlich ein zwischen kleinen Tischchen, klapprigen Stühlen, 3 Rucksäcken, 3 Koffern sowie einem Handtäschli. Wir feiern unsere Ankunft, indem jede von uns mit ihrem besten Italienisch aufwartet. Bis… bis dann der Kellner kommt und wir uns stumm geben wie drei kleine Fischchen aus dem Vierwaldstättersee. Wir müssen gestehen: Unsere Fremdsprache entspricht einem English-Italo-Streiflichter-Style, gespickt mit ein paar französischen Suppléments. Der Salat ist übrigens ausgezeichnet und zum Dessert werden wir mit einem Guezli belohnt.
Die mit den Highheels durch den Hagel tanzen
Der Zeitpunkt naht für die Inspektion unseres Hotels. 3 Rucksäcke, 3 Koffern und 1 Handtäschli wollen zum Hotel geschleppt werden. Mit dem ganzen Karsumpel quetschen wir uns durch das eng bestuhlte Restaurant, hinaus an die frische Luft. Zumindest ist das unser Plan. Raus? Ohalätz. Da draussen herrscht ja Winterstimmung! Weisse Strassen, schlitternde Autos und Highheels, die durch das glatte Weiss rutschen und ihre Besitzerinnen wie schwankende Wolkenkratzer beim Erdbeben aussehen lassen. Sind wir jetzt doch in der nördlichen Hemisphäre gelandet? Hat uns das schwarze Loch wie ein «Xi cc++-Teilchen» vom Cern in Oslo ausgespuckt? Nein. Denn der Kontrollblick von Conny hat ergeben, dass es einfach nur gehagelt hat, während wir frisch-fröhlich unser Salötli verschlungen haben. Tja, unser Ausland-Ausflug fängt ja wieder mal nach gewohnter Streiflichter-Manier an. So montieren wir also unsere Regenmäntel, balancieren uns und unser Hab und Gut durch die weissen, bergamotischen Hagelhaufen und sind froh, dass es nur noch ein Katzensprung ist bis zum Hotel. Die letzte scharfe Linkskurve noch, dann sagt unsere innere Navi-Stimme: «Sie haben ihr Ziel erreicht. Es liegt an einer ruhigen und nur beschränkt befahrbaren Strasse.» Sagt die innere Navi-Stimme. Vor unserem Hotel türmt sich jedoch eine riesige Baustelle, ohrenbetäubendes Presslufthammer-Getöse inklusive. So etwas wünscht man nicht einmal seiner ärgsten Feindin. Also schleppen wir unser Gepäck auf dem letzten Stück durch eine nicht definierbare Hagelkörner-Staub-Masse, die kalte Luft getränkt mit 120 Decibel.
Beats und Checks
Wir machen gute Laune zum bösen Spiel und treten ein in die Hotellobby: eine inszenierte Ruheinsel mit Loungemusik, angereichert mit gleichmässigen Presslufthammer-Beats. Wir Streifliechtli sind ja positive Gemüter. So sagen wir uns: Das ist Grund genug für ein «Hard-Core-Früh-Morgens-bis-spät-Nachts-Programm» in der Stadt, weit weg vom Presslufthammer-Getöse.
Wir deponieren unser Gepäck und nehmen die Erstbesichtigung des Ortes in Angriff. Nicht nur Skirennfahrer schwören auf Erstbesichtigungen der Rennstrecke, sondern auch unsere Conny, technisch assistiert von Irene. Als «Chief-Location-Check-Officers» legen die zwei Mädels auf diese Prozessphase äusserst grossen Wert. Das heisst: Check Licht, check Himmelsrichtungen, check Sonnenaufgang, check Mondaufgang, check Stadtkarte, check Sehenswürdigkeiten, check Strassen, check einfach alles. Karin ist mit all diesen Checks überfordert. Sie vertraut ihren versierten Freundinnen mehr als 100 Prozent. Ihr Spezialgebiet ist: Spontanaufnahmen. Was nützen all die Checks, wenns doch anders kommt? Glücklicherweise hat sie ihre Streifliechtli, denn sie würde wohl das halbe Fotoleben verpassen, würde nicht alles so auf Herz und Nieren gecheckt.
Der Rest des Tages ist schnell erzählt. Wir hüpfen frühzeitig in die Federn, um dann das Taxi nicht zu verpassen, welches bereits schon um 5.30 Uhr morgens pünktlich vor dem Hotel steht.
21-Stunden-Streifliechtli-Programm vom Feinsten
Tag 2: Unser «Hard-Core-Früh-Morgens-bis-spät-Nachts-Programm» steht an. Will heissen: Wir rollen das Feld geografisch von oben auf – ohne Rollköferli – dafür mit dem ganzen Fotoequipment. Dämmerung auf dem Castello S. Vigilio um 6 Uhr, Morgenshooting in der Altstadt von Bergamo, Frühstück um 9 Uhr im Hotel, ausgedehntes Shopping (darf natürlich auch nicht fehlen), «Fresh up» im Hotel, Aufstieg zum Berg für das Abendshooting, feines Diner, Nachtshooting bis Lichterlöschen in der Stadt. Und die Liechtli von Milano müssen auch noch eingefangen werden. Um 1.30 Uhr fallen uns nach einem strengen Tag die Augen zu.
Et voilà: Die Zugfahrt am Tag 3 verläuft sehr ruhig – im Gepäck tolle Impressionen einer authentischen, lombardischen Stadt. Den NEAT-Eisenbahntunnel haben Conny und Karin auf der gemütlichen Rückfahrt übrigens verpasst. Irene hat währenddessen über ihre zwei Streifliechtli gewacht und dabei neue, abenteuerliche Ideen für den nächsten Streifzug gesammelt.
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